NNW-Stellungnahme zur Wissenschaftsfreiheit

Vor der Bundestagswahl fordern wir die Politik nachdrücklich dazu auf, die Freiheit der Forschung und Lehre in der Bundesrepublik zu sichern.

Zu aktuellen Angriffen auf die Freiheit von Forschung und Lehre

Hochschulen leben vom freien Austausch von Ideen, und es ist die Aufgabe der Wissenschaftspolitik, die notwendigen Rahmenbedingungen für diesen Austausch zu gewährleisten. Das Grundgesetz der Bundesrepublik weist die Freiheit von „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre“ als Grundrecht aus. Demokratie und Wissenschaft bedingen sich gegenseitig. Demokratische Regierungen schützen die Freiheit der Wissenschaft und beziehen sich in ihrer Entscheidungsfindung auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Die akademische Selbstverwaltung hat demokratische Grundzüge, und Professor*innen und Mitarbeitende sind als öffentliche Bedienstete ausdrücklich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet.

Nach einer aktuellen Studie der EU erreichte Deutschland noch 2021 den höchsten Rang für Wissenschaftsfreiheit innerhalb der EU. Aber Wissenschaftsfreiheit ist ein empfindliches Gut, das es aktiv zu schützen gilt. In der aktuellen Situation stellen einerseits der Aufstieg der AfD und andererseits eine wachsende Eingriffsneigung der etablierten Parteien diese Freiheit in Frage. Die AfD wird nicht nur in Teilen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem und demokratie- feindlich eingestuft, sondern stellt auch konkret die Freiheit von Forschung und Lehre infrage. Das Wahlprogramm der AfD kündigt verfassungswidrige Eingriffe in die wissenschaftliche Arbeit an Hochschulen und die disziplinäre Organisation der Wissenschaft an, wenn etwa pauschal die Abschaffung von Forschung mit Gender-Bezug gefordert wird. Ein solcher Präzedenzfall für politische Einflussnahme könnte in weiteren Schritten beliebig ausgeweitet werden. Die wissenschaftspolitischen Einlassungen der AfD zu Rassismus- und Migrationsforschung weisen auf weitere Streichungsziele hin, und ihre Neigung, den wissenschaftlichen Kenntnisstand in der Klimaforschung systematisch zu leugnen, lässt ein gestörtes Verhältnis zu Wissenschaft insgesamt erkennen. Die AfD bedroht die Freiheit von Forschung und Lehre auf breiter Basis.

Auch die Rhetorik und Praxis anderer Parteien stellt inzwischen jedoch Wissenschaftsfreiheit in Frage. Ein Beispiel ist der Vorstoß durch das damals FDP-geführte BMBF, Forschungsgelder für laufende Projekte aus politischen Gründen einzustellen. In mehreren Bundesländern wird die Verwendung geschlechtergerechter Sprache an den Hochschulen in Frage gestellt oder eingeschränkt.

Vorwiegend in Bayern häufen sich zudem Fälle, in denen politisch engagierten Studierenden und Wissenschaftler*innen eine Beschäftigung an der Universität oder im Schuldienst verwehrt wird. Neben politischen Aktivitäten und Mitgliedschaften ist dafür selbst die Verwendung von Begriffen wie „Profitmaximierung“ relevant.

Die „Antisemitismus“-Resolutionen des Bundestages vom November 2024 und Januar 2025 greifen ebenfalls politisch in Forschung und Lehre ein; die Resolutionen wurden von der HRK als Gefahr für Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie bezeichnet. Diese Entwicklung in der politischen Kultur geht einher mit einer besorgniserregenden Infragestellung der Wissenschaft in der Gesellschaft: Wissenschaftliche Expert*innen, die sich in der Öffentlichkeit zu Krisen wie Covid19, den Kriegen in der Ukraine und in Gaza oder der Klimakatastrophe äußern, erleben zunehmend persönliche Anfeindungen.

International zeigt sich derzeit drastisch, wie rechtspopulistische Regierungen der Wissenschaft schon in kurzer Zeit extrem und nachhaltig schaden können. Bereits 2023 hatten sich die Bedingungen für akademische Freiheit in 22 Ländern über einen Zeitraum von zehn Jahren deutlich verschlechtert.

Ein eklatantes Beispiel ist Ungarn, wo der massive Eingriff in die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit mit der Abschaffung der Gender Studies begann. In Ländern wie dem Vereinigten Königreich und den (derzeit rechtspopulistisch regierten) Niederlanden verändern und erschweren vor allem massive Kürzungen staatlicher Mittel die Arbeit von Hochschulen.

Die aktuellen Entwicklungen in den USA sind so dynamisch, akut und umfangreich, dass sie hier nur im Ansatz skizziert werden können. Seit dem Regierungswechsel erfolgen in atemberaubender Geschwindigkeit Angriffe auf die Forschung. Gelder werden eingefroren, Datensätze und Wissensbestände gelöscht, Projektanträge mittels absurder Auflagen zum Sprachgebrauch und zu den opportunen Forschungsgegenständen reglementiert, Maßnahmen zu Diversität und Chancengleichheit werden verboten, und Hochschulen und Forschungseinrichtungen sehen sich einem noch nie dagewesenen Konformitätsdruck und Repressionen ausgesetzt.

Was also ist zu tun?

  • Sich aktiv zur Freiheit von Forschung und Lehre auf der Basis unseres Grundgesetzes bekennen: Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut, das vor Gefährdungen und Anfeindungen geschützt und dagegen verteidigt werden muss. Wir haben keinen Eid auf Neutralität geschworen, sondern auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Landes.
  • Akademische Selbstverwaltung erhalten und demokratisieren: Demokratien gründen auf starken Institutionen und einem wirksamen System von checks and balances. Diese Institutionen funktionsfähig zu halten, ist zuweilen anstrengend. Doch gerade angesichts der Gefahren, die einer freien Wissenschaft drohen, muss die demokratische Gremienarbeit aktiv gepflegt, gefördert und geschützt werden. Das bedeutet auch, dass nicht nur Professor*innen Wissenschaftsfreiheit genießen und dass Hochschulautonomie nicht als Autonomie der Hochschulleitung begriffen werden darf.
  • Respekt für verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und Richtungen zeigen: Verschiedene Fächer und Denkschulen arbeiten unterschiedlich. Diese Diversität und Autonomie in Fragestellungen, Zielen, Methoden und Ausdrucksformen zu respektieren, bildet eine wichtige Grundlage für die Freiheit der Wissenschaft und gegen die Instrumentalisierung bestimmter Fächer oder Forschungsfelder.
  • Solidarisch sein: Wissenschaftsfreiheit ist unteilbar. Die politische Diskreditierung von inter- und transdisziplinären Forschungsrichtungen wie Gender Studies, Postcolonial Studies, Queer Studies u.v.m. ist kein Nischenproblem, sondern muss als Einfallstor für Einschränkungen und Eingriffe gesehen werden. Solche Angriffe – in Deutschland oder international – gefährden unsere Demokratie. Wissenschaftler*innen und akademische Einrichtungen sollten ein Selbstverständnis als scholars without borders entwickeln und sich entsprechend verhalten. Kolleg*innen aus anderen Ländern, die von Repressionen betroffen sind, müssen Solidarität in der internationalen scientific community erfahren, die von Unterstützungserklärungen über Hilfsprogramme bis zur Überprüfung von Kooperationen reicht.
  • Standhaft bleiben: Vorauseilender Gehorsam und Selbstzensur arbeiten den Gegner*innen der Wissenschaftsfreiheit in die Hände. Wer zurückweicht, bevor überhaupt ein Angriff erfolgt, stärkt die Energien der Gegenseite. Auch die, die den Konflikt scheuen, sollten zumindest die Stellung halten, um anderen den Rücken zu stärken.

Text als pdf zum Download

(Christina Hölzel, Ruth Mayer, Tilman Reitz, Kilu von Prince)