Ein Essay, so verriet mir das Internet, als ich zum ersten Mal in die Verlegenheit kam, einen zu schreiben, sei ein geist- und kenntnisreicher Text zu einem scharf umfassten Thema. Kurz fragt man sich an dieser Stelle, warum das Laborjournal aus unserem Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft ausgerechnet die Tierärztin anfragt, einen solchen Essay zu verfassen, hätte es doch auch echte Geisteswissenschaftler*innen gegeben. Andererseits soll ein Text ja nun auch seine Zielgruppe im Blick haben, und da schreibt es sich aus der Laborwissenschaft für die Laborwissenschaft möglicherweise doch passender. Die Textgattung also war gesetzt, aber immerhin das Thema konnte ich frei wählen, womit das Thema auch schon fast benannt ist, jedenfalls zu einem Fünftel oder auch zur Hälfte, wenn man in Inhalt statt Zeichen rechnet: Wissenschaftsfreiheit also.
Diese Wissenschaftsfreiheit ist in unserem Grundgesetz ausdrücklich geschützt, ohne dass das Grundgesetz sie allerdings definieren würde – das handhaben Gesetze ja ganz gerne mal so. In Artikel 5 des Grundgesetzes (derselbe Artikel behandelt auch die Meinungsfreiheit) heißt es im letzten Absatz 3, Satz 1 nur lapidar: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei„. Weiß man im Jahr 2025 etwas nicht (hier: die Definition), fragt man Chat-GPT, das noch weniger weiß. Da mir aber der Strom zu schade ist für jede Nutzeranfrage an parasitierende KIs (ich schweife ab! Wir erinnern uns: scharf umrissen…), überspringen wir das und befragen – um nicht gleich bei den Philosophen zu landen – eine ungleich validere Quelle, nämlich die Bundeszentrale für Politische Bildung.
Dort wird die Wissenschaftsfreiheit immerhin paraphrasiert, nämlich als „die Unverfügbarkeit wissenschaftlicher Richtigkeit für den Staat“.1 Der Artikel beschreibt auch den spannenden historischen Weg der Wissenschaftsfreiheit in unsere (und später auch andere) Verfassungen. Wissenschaftsfreiheit ist demnach ein spezifisch deutscher Beitrag zur transnationalen Ausformung von Grundrechtskatalogen. Ich übersetze: vor uns hatte das keiner. Weder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) noch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, 1950) enthalten Regelungen zur Wissenschaftsfreiheit, die über die Meinungsfreiheit hinausgehen, wohl aber die Grundrechtecharta der Europäischen Union.
Gärditz betont außerdem, die politische Diskussion (des Jahres 2021) „verzwerge“ die Wissenschaftsfreiheit zur Meinungsfreiheit, und in der Tat: es gibt gute Gründe, die Freiheit der Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre eben nicht nur in der Meinungsfreiheit „mitzudenken“. Einschub: An dieser Stelle ist man durchaus verlockt, unmittelbar zum Gendern überzuleiten – aber da sind wir noch nicht.
Überhaupt ist Gärditz‘ Text ein vielfältiger Einstieg auch in allerlei benachbarte Themen, etwa das der „Wahrheit“: „Was ist Wahrheit?“ spricht hier mal nicht Pilatus zu Jesus, sondern die Leserin rätselnd zu der Textpassage, Wissenschaftsfreiheit ziele darauf ab „die Suche nach Wahrheit freien gesellschaftlichen Institutionen anzuvertrauen“. Nun ist Wahrheit ein großes Wort, und gerade in den Laborwissenschaften ist uns der eingangs schon mal gefallene Begriff der Richtigkeit sicher näher, weiß man doch nie, ob das mit größter Sorgfalt durchgeführte in vitro Experiment letztlich eine biologische Wahrheit enthüllt. Allerdings findet die „Wahrheit“ nicht von ungefähr in Gärditz‘ Text – sondern über das Bundesverfassungsgericht, das nämlich Wissenschaft definiert: als das, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist„2 – und Wissenschaftler*innen kennzeichnet es eben, in ihrem korrekt durchgeführten Experiment nicht die ganze Wahrheit, sondern nur einen (oft genug recht kleinen) Beitrag dazu zu sehen. Nicht umsonst nennen wir unsere Experimente Versuche.
Ein Aspekt kommt im BZpB-Text reichlich kurz, obgleich er für uns alle, die wir Laborwissenschaft betreiben, zentral sein dürfte: Im Text heißt es, man möchte es fast „optimistisch“ nennen: „Die Freiheit der Wissenschaft schützt daher davor, dass der Staat mit hoheitlicher Gewalt selbst Teilnehmer des Wissenschaftsprozesses wird und über Wahrheiten autoritativ entscheidet, also Richtigkeit durch rohe Macht ersetzt“. Dazu aber, dass der Staat mit hoheitlicher (Finanz-)Gewalt längst Teilnehmer des Wissenschaftsprozesses ist, nämlich über den Ausbau der Programm- [und Exzellenz]förderung zu Lasten der Grundfinanzierung, fällt kein Wort. Das mag daran liegen, dass der Autor als Jurist – anders als die meisten von uns – zur Durchführung seiner Forschung nicht notwendig Sachmittel benötigt.
Nun könnte man argumentieren, es sei nett genug vom Staat, wenn er der Wissenschaft überhaupt Geld gibt, spätestens dadurch erkaufe er sich doch ein Mitspracherecht, und in der Tat gibt es genügend Länder, in der die Wissenschaft ohne staatliche Grundausstattung auskommen muss. Die Wissenschaftsfreiheit schütze also vor staatlicher Einmischung, aber zwinge den Staat doch nicht, diese freie Wahl von Forschungsfragen auch zu bezahlen. Und natürlich sind der Wissenschaftsfreiheit harte Grenzen in Form endlicher Budgets gesetzt; aber ob diese Budgets in Fächern, die nun einmal ohne Reagentien nicht forschen können, wirklich so gedeckelt werden dürfen, dass man nur noch Reviews schreiben kann, dürfte eher verneint werden, beschäftigt man sich mit der Diskussion über „angemessene Ausstattung“. Tatsächlich wird die Wissenschaftsfreiheit – juristisch gesprochen – nicht nur als ein Abwehrrecht aufgefasst, sondern es wird ihr auch eine „gewährleistungsrechtliche Dimension“ zugeschrieben3 – eine Rechtsauffassung, die wir alle kennen sollten, wenn es nun zunehmend um Kürzungen im Hochschulbudget geht.
Wohlweislich drückte ich mich bisher um die Philosophen und ihre Beiträge zur Wissenschaftsfreiheit, denn auf der Suche danach geriet ich in ein Wurmloch aus Repliken, Repliken auf Repliken und Stellungnahmen zu Stellungnahmen, auf die anschließend eine Erwiderung folgt.4 Kurz fragt man sich, was die ganz besonders eifrig Replizierenden – ein Begriff, den unsereins mehr so aus der Virusvermehrung kennt – eigentlich beruflich machen. Aber gut, wir wollen hier nicht ins Disziplinenbashing verfallen, schließlich mag auch unser Hang zum exzessiven Pipettieren anderen Wissenschaftsdisziplinen durchaus iterativ erscheinen.
Im Wesentlichen befasste sich der Streit mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit – einer Vereinigung, die leider nur dem Namen nach ins Thema passt und sich vor allem mit gender-, trans- und migrationsfeindlichen Akteuren und Akteurinnen einen Namen machte. Zur Gründung motiviert wurde der Verein u. a. durch Absagen von hochschulöffentlichen Vorträgen nach Protesten. Darüber, ob derartige Vorträge immer nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen sind (BVerfG), ob es also überhaupt je um Wissenschafts- und nicht vielmehr um Meinungsfreiheit ging, mögen andere streiten (Gutmann verneint das deutlich: “das wird man ja noch sagen dürfen“ sei keine wissenschaftliche Kommunikation und für Meinungsfreiheit brauche man keine Hörsäle5).
Die Philosophie jedenfalls braucht die Naturwissenschaften – so schien es im Wurmloch – im Wesentlichen dann, wenn pseudobiologische Beweise geführt werden sollen, die gelegentlich gewisse Ahnungslosigkeit vom Gegenstand kennzeichnet. Etwa das viel beschworene und davon auch nicht richtigere Postulat, die Biologie kenne nur zwei Geschlechter – eine Behauptung, die Chromosomensätze jenseits von xx und xy faktisch ignoriert und vor der Tatsache, dass 90 % der weiblichen Zwillinge männlicher Kälber mit einem Phänotyp6 zur Welt kommen, den man mit einigem Recht als „trans“ bezeichnen könnte, vollends in die Knie ginge (ganz abgesehen davon, dass es jenseits des biologischen Geschlechts auch die Dimension „Gender“ gibt, die keinerlei biologische Rechtfertigung braucht; aber das wiederum bewegt sich außerhalb meiner Fachdisziplin). An dieser Stelle ist es schlicht unser Job, uns gegen Vereinnahmung zu wehren, und dass wir vom deutschen Begriff „Rassen“ selbst im Tierreich nur noch dort sprechen, wo sie artifiziell durch Züchtung geschaffen wurden, ging an biologiefernen Vertreter eines biologischen Rassebegriffs offenbar auch vorbei – mit der Jenaer Erklärung7 jedenfalls sind sie nicht d’accord. Zu konstruieren, es sei „De-platforming“ und ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, wenn man als Geisteswissenschaftler*in nicht biologischen Unsinn erzählen darf, ist jedenfalls durchaus dreist, denn die Wissenschaftsfreiheit bezieht sich, anders als die Meinungsfreiheit, eben gerade nicht auf eine „Freiheit zur Irrationalität, ein Grundrecht des Emotionalen, des Unreflektierten“, sondern ist gebunden an „Standards fachlicher [!] Rationalität“ und die „überprüfbare Erkenntnis von Wirklichkeit in einem methodisch disziplinierten Konstruktionsprozess“.8 Aufgemerkt: die relevante Methodendisziplin an dieser Stelle sind wir, und nicht etwa rassismusnah argumentierende Philosophen.
Bleibt der häufiger vorgetragene Punkt, die Naturwissenschaften seien nun einmal unpolitisch und insofern von der Auseinandersetzung um die Wissenschaftsfreiheit gar nicht betroffen. Das ist erstens falsch (jedenfalls an Hochschulen), und zweitens eine komfortable Situation, die uns jederzeit entzogen werden kann. Falsch ist es, weil Wissenschaftler*innen an Hochschulen gehalten sind, sich in die Selbstverwaltung einzubringen und dort über das Wohl und Wehe Aller mitentscheiden – sich also gegebenenfalls auch vor (früher) angegriffene Fächer stellen müssen. Und fragil ist es, eben weil wir (unter anderem) Dinge beforschen, die auch auf die politische Agenda geraten – das wissen wir spätestens seit der absurden Negativselektion von NIH-grant applications anhand von Wörtern, die in biomedizinischer Forschung nun mal hochfrequent vorkommen – „sex“, „women“ und – die Mikrobiomforschung erstarrt – diversity.
Das Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft, dessen Ziel es ist, faire, transparente und demokratische Strukturen an Hochschulen zu verankern, positionierte sich wiederholt klar zur Wissenschaftsfreiheit: zuletzt zur Academic Freedom in den USA9, das den Blick auch auf wenig resiliente Punkte des deutschen Wissenschaftssystems richtet, etwa den hohen Anteil befristet und prekär Beschäftigter und die Abhängigkeit von (kurzlebiger und deshalb unschwer zu entziehender) Drittmittelförderung, und vorher schon in einer Stellungnahme im Vorfeld der Bundestagswahl, die sich u.a. gegen die AfD-Drohung richtet, Forschung mit Genderbezug abzuschaffen.10
In einem offenen Brief11 an Dorothea Bär, BMFTR thematisiert unser Netzwerk auch, was Wissenschaftsfreiheit nicht ist: zum Beispiel die Freiheit, „Untergebene“ wie Leibeigene zu behandeln, solange die Drittmittelbilanz stimmt; öffentliche Gelder zu verschwenden; die eigene Arbeit und ihre Ergebnisse […] zu verfälschen, oder auch: wichtige Personalentscheidungen […] im Hinterzimmer zu treffen. Für manches davon sind die Lebenswissenschaften anfälliger als Philosoph*innen: Ein Denkprozess fälscht sich schwerer als ein Laborexperiment, und Macht kann man nur dann missbrauchen, wenn man auch welche hat – wenn es also Personal gibt, bevorzugt in stark hierarchischen Strukturen, wie beispielsweise in der Medizin immer noch üblich. Manches finden wir auch bequem, und empfinden als Angriff, es nicht mehr zu dürfen: Kompetitive, kontrollierte Bewerbungsverfahren doch bitte allenfalls um die Professur; vorher wollen wir fein ungestört Kronprinzen heranziehen Tut uns leid: Der Aufbau kleiner Königreiche – zufällig schreibe ich diese Zeilen während der US-amerikanischen No-kings-protests – ist nicht von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt.
Auf der Positivseite zählen wir zur Wissenschaftsfreiheit in diesem Brief (neben vielem, was hier schon verhandelt wurde) auch die Etablierung von Publikations- und Kommunikationsformen, die es erlauben, Forschungsergebnisse barrierefrei mit möglichst vielen zu teilen. – etwas, das manchem eher als Angriff auf ihre Wissenschafts-?, nun ja, Wahlfreiheit gilt. Aber: Wissenschaftsfreiheit wird gewährt, um die Wissenschaft besser zu machen – und natürlich ist es für die Wissenschaft vorteilhaft, wenn Wissenschaftler*innen ohne Zugangshürden (= Subskriptionen) auf alle Artikel zugreifen können. Himpsl12 führt zudem das „Bildungsargument“ für die Wissenschaftsfreiheit ins Feld: man wünsche sich doch, frei gesagt, „junge Menschen, die in Zeiten von Social Media und Fake-News […] vom Geist der Unbestechlichkeit beseelt“ sind und auch wenn unsereins vermutlich eine etwas andere Formulierung wählen würde: bisschen weniger Esoterik im Netz und etwas mehr Wissen über Physiologie wäre schon gut, und gelungene Wissenschaftskommunikation dazu sicher nötig.
Man ahnt es schon: unter den Kolleg*innen macht man sich nicht nur Freunde, verweist man mit Elif Özmen darauf, dass die Wissenschaftsfreiheit gegen gleichwertige Güter von Verfassungsrang sorgfältig abzuwägen ist13 – und gelegentlich auch schlicht unterliegt (zum Beispiel der Bio- und Arbeitssicherheit). Noch einmal mit Franz Himpsl gesprochen: Wissenschaftsfreiheit „ist kein Geschenk an die Personengruppe der Wissenschaftler, sondern stellt vielmehr eine absichtsvolle Bevorzugung dar, der eine bestimmte gesellschaftliche Funktion eingeschrieben ist und die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Wissenschaftsfreiheit lässt sich demzufolge nur legitimieren, wenn sie dem Wohle aller dient.“14 Im Grunde ist es uns womöglich selbst zuzuschreiben, dass in manchen großen Punkten die Wissenschaftsfreiheit heute restriktiver ausgelegt wird als früher (Stichworte: Militärforschung, Stammzellenforschung): Wer immerzu darauf verweist, wie nützlich und potentiell anwendbar die eigene Forschung ist, obwohl die Wissenschaftsfreiheit uns von diesem (unmittelbaren) Nützlichkeitsanspruch eigentlich freistellt, muss sich vielleicht nicht allzu sehr wundern, wenn neben dem möglichen Gebrauch auch der potentielle Missbrauch ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt. Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit sei „[…] mit zu berücksichtigen, daß gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“, zitiert Gärditz15 das BVerfGE. In Zeiten, in denen – so hat man den Eindruck – Universitäten ihre Transferbereiche liebevoller pflegen als ihre Studierenden, sollte man das möglicherweise fettdrucken lassen.
Kurze Zeit meines Lebens war ich Teil eines Philosophiezirkels. Fragen Sie nicht wie es kam, man mag es „verschlungene Wege“ nennen. Niemand von uns war Philosoph, aber das stört ja andere Menschen nicht einmal dabei, selbst philosophische Werke zu verfassen. Insofern fühlte ich mich also allenfalls maßvoll schlecht dabei, als Nicht-Philosophin Bücher echter Philosophen nur zu lesen und zu besprechen. Wenn ich es recht bedenke, lasen wir gar keine Philosophen, stattdessen Soziologen und Psychologen (leider gab die Autorenwahl keinen Anlass zum Binnenstern, aber der Philosophiezirkel überlebte den Corona-Alltag auch nicht lange). Gleich das erste dieser Treffen jedenfalls – wir nähern uns wieder dem Thema – stand unter dem Leitbegriff „Freiheit und Verantwortung“ und schlug den Bogen von der „Freiheit wovon?“ zur „Freiheit wozu?“. Freiheit, so schrieb der Initiator, sei „kein individuelles Privileg, sondern eine Aufgabe: wir erschaffen einen gesellschaftlichen Rahmen, eine kluge Debatte, ein Sinnieren für mehr Lebenswert – oder es geschieht nicht“.
Wir sprachen nicht von Wissenschaftsfreiheit an diesem Abend – aber doch auch. Wir trafen uns, bevor sich in Potsdam andere Menschen trafen, um von Deportation zu fantasieren – darunter ein Mitglied des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit. Wir sprachen damals nicht explizit von Wissenschaftsfreiheit, weil die meisten von uns nicht aus der Wissenschaft kamen. Später sprachen wir lange nicht mehr von Wissenschaftsfreiheit, weil uns das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit den Begriff verdarb, als eine „Freiheit von“: Freiheit von lästiger Rücksichtnahme, Freiheit von (nichtexistenten) Sprechverboten, Freiheit – so mutet es an – von einer Verantwortung, der man sich in Deutschland ohnehin nicht gerne stellt: für ein entschlossenes Eintreten gegen Faschismus. So erscheint auch nur folgerichtig, dass man vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nun nichts hört zu den neofaschistischen Interventionen in die Wissenschaftsfreiheit, wie sie die USA seit Trumps Amtsantritt erschüttern.
In letzter Zeit ist es glücklicherweise so still geworden um das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, dass wir ihn uns zurückerobern können – den Ausdruck. Aber ob wir verteidigen können, wofür er steht, hängt elementar an uns allen. Schon längst nämlich hat uns die Wissenschaftsfreiheit in unserem alltäglichen Agieren verlassen. Unsere Forschung ist frei? Die politischen Förderinstitutionen sind freier, gelegentlich auch: Freier, die uns dafür bezahlen, ihnen zu jenem Willen zu sein, den sie in geradezu übergriffigen Ausschreibungstexten ausformulieren. Nun ist niemand gezwungen, sich an diesen Ausschreibungen zu beteiligen (nein? In einer Umfrage der CAU Kiel empfinden gerade einmal 17 % der Professor*innen keinen Erwartungsdruck, Drittmittel einzuwerben; und mutmaßlich sitzen sie nicht in Laboren). Ja, die DFG fördert nach wie vor themenfrei. Allerdings braucht es nicht erst die drastischen Kürzungen an Berlins Kultur- und Bildungsinstitutionen, um uns vor Augen zu führen: Was man überwiegend in Projektform fördert, fördert man eben nicht verlässlich, man kann es je nach politischem Gusto jederzeit zu Fall bringen oder jedenfalls empfindlich beschneiden – das gilt auch für Förderinstitutionen im Ganzen. Und da sprechen wir noch gar nicht von Sanktionsmaßnahmen, wie sie sich die FDP-Führung eines BMBF für Profs erträumte, die sie zuvor als antisemitisch diffamiert hatte. Eine FDP, die übrigens durchaus auch dazu beitrug, mir die Begriffe „frei“ und „Freiheit“ zu verleiden wie sonst eigentlich nur noch Marius Müller-Westernhagen.
Ganz schnell vorbei ist es übrigens mit der Freiheit, wenn wir uns allzu offen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen – jedenfalls dann, wenn wir klar benennen, was nicht mit ihr vereinbar ist (eine gesichert rechtsextreme AfD, beispielsweise). Dann verweist man uns hurtig auf „Neutralitätspflichten“, von denen keiner so recht weiß, wieviel daran „urban legend“ ist, und was uns tatsächlich rechtlichen Konsequenzen aussetzt. Gern wäre man an der Stelle Danger Dan und sänge „das ist alles von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt“, aber an diesem Vergleich hakt nicht nur das Versmaß. So positionieren sich viele also lieber erst gar nicht, nicht gegen die AFD-Akteure in unseren Universitäten und erst recht nicht gegen die AfD im Ganzen – eine AFD, die Landesregierungen und damit Universitäten nicht länger nur überflutet mit Kleinen Anfragen zu allem, was ihnen missliebig ist, sondern die inzwischen auch beantragt, ganze Studiengänge zu schließen
Dafür, uns die größte Gefahr so eindrücklich zu demonstrieren, könnten wir den USA gar nicht dankbar genug sein, wäre das nicht so zynisch angesichts des hohen Preises, den die Wissenschaft dort nun bezahlt: nur, weil Natur- und Lebenswissenschaftler*innen sich ungern politisch positionieren, heißt das noch lange nicht, dass sie vor politischer Willkür sicher sind. Zu den ersten Institutionen, die in den USA sichtbar von Kürzungen und Vorgaben geknebelt wurden, gehörten die National Institutes of Health. „Die Freiheit der Anderen“ zu schützen ist nur auf den ersten Blick ein altruistischer Impuls, in Wahrheit aber ein schlicht notwendiger: sobald es irgendwo beginnt, trifft es uns irgendwann alle. Im Weidel-Satz „Wir schmeißen alle diese Professoren raus“ ist “diese“ ein durchaus schwammiger Platzhalter – und für das Satzgefüge letztlich auch ganz entbehrlich.
Christina Hölzel, Kiel. Erschienen am 15.07.2025 im Laborjournal, https://www.laborjournal.de/
Statement als pdf zum Download
- https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/wissenschaftsfreiheit-2021/343222/die-politische-grammatik-der-wissenschaftsfreiheit/ ↩︎
- BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367). Zurückgehend auf Rudolf Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer, Bd. 4, Berlin 1928, S. 44–73, hier S. 67; zitiert nach Gärditz,. 2021 ↩︎
- Gutmann, Freiheit der Wissenschaft, Freiheit der Meinung, in Elif Özmen (Hrsg): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt. 2021, J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg ↩︎
- https://praefaktisch.de/wissenschaftsfreiheit/ ↩︎
- Gutmann, Freiheit der Wissenschaft, Freiheit der Meinung, in Elif Özmen (Hrsg): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt. 2021, J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg ↩︎
- https://www.sciencedirect.com/topics/veterinary-science-and-veterinary-medicine/freemartin ↩︎
- https://www.uni-jena.de/22120/jenaer-erklaerung ↩︎
- https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/wissenschaftsfreiheit-2021/343222/die-politische-grammatik-der-wissenschaftsfreiheit/ ↩︎
- http://netzwerk-nachhaltige-wissenschaft.de/wp-content/uploads/2025/06/USA_Statement_final.pdf ↩︎
- http://netzwerk-nachhaltige-wissenschaft.de/wp-content/uploads/2025/02/NNW_Wissenschaftsfreiheit_final.pdf ↩︎
- http://netzwerk-nachhaltige-wissenschaft.de/wp-content/uploads/2025/05/Offener-Brief_Netzwerk-Nachhaltige-Wissenschaft.pdf ↩︎
- Franz Himpsl, Akademische Freiheit und die Verantwortung des Wissenschaftlers für epistemische Produktivität. In: Elif Özmen (Hrsg): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt. 2021, J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg ↩︎
- Elif Özmen, Epistemische Offenheit als Wagnis. Über Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsethos in der Demokratie. In: Elif Özmen (Hrsg): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt. 2021, J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg ↩︎
- Franz Himpsl, Akademische Freiheit und die Verantwortung des Wissenschaftlers für epistemische Produktivität. In: Elif Özmen (Hrsg): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt. 2021, J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg ↩︎
- https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/wissenschaftsfreiheit-2021/343222/die-politische-grammatik-der-wissenschaftsfreiheit/ ↩︎
