Es ist mittlerweile breiter Konsens, dass die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene sogenannte „4+2“-Regel nicht dazu geeignet ist, die Arbeitsbedingungen promovierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland zu verbessern. Die Regelung verschärft einseitig den Druck auf die Beschäftigten, ohne im Gegenzug eine nennenswerte regulatorische Wirkung in Richtung der Schaffung von mehr nachhaltigen und international attraktiven Stellenprofilen zu entfalten. Auf der anderen Seite hat die politische Diskussion der letzten zwei Jahre gezeigt, dass im Moment anscheinend keines der Alternativmodelle, die zu einer nachhaltigeren Stellenstruktur führen könnten, innerhalb der Regierungskoalition konsensfähig ist. Im schlimmsten Fall würde nach mehrjähriger intensiver Debatte also alles so bleiben, wie es ist. Zusammen mit dem Scheitern des Versuchs, über ein Bund-Länder-Programm positive Anreize für eine Verringerung der Befristungsquote zu setzen, wäre das ein für den Wissenschaftsstandort Deutschland verheerendes und für die Betroffenen zutiefst frustrierende Signal.
In dieser für alle Parteien unbefriedigenden Situation möchte ich einen konstruktiven und meines Erachtens zustimmungsfähigen Vorschlag machen, wie sich das neue WissZeitVG so ausgestalten ließe, dass es zumindest offen ist für einen weiteren politischen Reformprozess und einen solchen Prozess im besten Fall sogar anregt. Ich möchte vorschlagen, dass das Gesetz eine Länderöffnungsklausel enthält, durch die es den Bundesländern explizit gestattet wird, die befristete Beschäftigung an ihren Hochschulen und Forschungseinrichtungen durch weitere Maßnahmen zu regulieren, die im Moment auf Bundesebene nicht zustimmungsfähig sind. Solche Maßnahmen könnten in kürzeren Befristungshöchstdauern, der Pflicht zu früheren Anschlussvereinbarungen, Modellen mit einem Mittelbau-Tenure-Track oder aber Höchstquoten für den Anteil befristeter Beschäftigung bestehen. Eine entsprechende Klausel könnte etwa den folgenden Wortlaut haben:
„Durch Landesgesetz kann die Höchstbefristungsdauer in § 1 Abs. 1 S. 1, 2 WissZeitVG verkürzt sowie Voraussetzungen für die Befristung von Arbeitsverhältnissen, namentlich Anschlusszusagen, Tenure-Track-Optionen oder Befristungshöchstquoten, vorgesehen werden.“
Eine solche Länderöffnungsklausel ist mindestens aus den folgenden drei Gründen sinnvoll:
1. Beseitigung rechtlicher Unsicherheit
Bekanntlich ist gegen die strengere Befristungsregel in § 110 des neuen Berliner Hochschulgesetzes Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht worden. Die Kläger argumentieren, dass das Gesetz der vorrangingen Gesetzgebungskompetenz des Bundes in arbeitsrechtlichen Fragen zuwiderläuft. Gleichzeitig wurde von Vertretern des BMBF die Ablehnung von Befristungshöchstquoten im neuen WissZeitVG damit begründet, dass der Bund mit solchen Quoten zu stark in die Autonomie der Hochschulen und forschungspolitische Kompetenz der Länder eingreifen würde. Ob diese Argumente sachlich zutreffen, ist fraglich. Zusammen genommen führen sie aber zu einem hochschulpolitisch lähmenden Patt der Zuständigkeiten, und allein schon die Unsicherheit der Rechtslage droht den nötigen weiteren politischen Reformprozess besonders auf Länderebene zu verhindern. Eine explizite Länderöffnungsklausel würde diese Rechtsunsicherheit beseitigen.
2. Politische Signalwirkung und bedürfnisorientierte Lösungen
Die Länderöffnungsklausel würde ein starkes politisches Signal senden, sinnvolle und prinzipiell zustimmungsfähige Maßnahmen wie Befristungshöchstquoten und Anschlusszusagenmodelle nach Verabschiedung des WissZeitVG nicht ganz ad acta zu legen, sondern ihre gesetzliche Implementierung auf Länderebene weiter zu verfolgen. Einige der Maßnahmen ließen sich hier tatsächlich einfacher durchsetzen und könnten verzahnt werden mit einer langfristigen hochschulpolitischen Strukturentwicklung, die über das Arbeitsrecht hinausgeht und für die in der Tat die Länder zuständig sind. Insbesondere Befristungsquoten bieten die Chance, in einem zeitlich gestreckten und deswegen generationengerechten Prozess direkt auf die Anzahl der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse Einfluss zu nehmen, ohne dies nur indirekt über Verkürzung der zulässigen Befristungslänge zu versuchen, und würden so den Reformdruck von den Beschäftigten auf die Hochschulen umlenken. Die Bundesländer könnten untereinander in einen Wettbewerb um möglichst attraktive Personalstrukturmodelle treten, und zwar ohne dabei immer auch zugleich Lösungen finden zu müssen, die auch den Bedürfnissen der vom Bund geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtungen gerecht werden.
3. Autonomie der Forschungs- und Bildungspolitik gegenüber den Tarifverhandlungen
Der im Moment ebenfalls diskutierte partielle oder vollständige Verzicht auf die Tarifsperre im WissZeitVG mag ein wichtiger Baustein sein, um Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft durchzusetzen. Die genaue Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen für promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat aber genuin forschungs- und bildungspolitische Aspekte, die nicht allein von den Tarifparteien entschieden werden sollten. Eine Länderöffnungsklausel würde deutlich machen, dass der weitere Prozess hin zu besseren Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft künftig nicht vollständig in den Händen der Tarifparteien liegt, sondern weiter als genuin politische Aufgabe verstanden wird.
Diesen drei Argumenten für eine Länderöffnungsklausel möchte ich noch eine Replik auf ein mögliches Argument dagegen hinzufügen, das in ähnlicher Form auch gegen den Wegfall der Tarifsperre vorgebracht worden ist: das sogenannte „Flickenteppich-Argument“. Die Sorge hinter diesem Argument ist, dass unterschiedliche Befristungsregeln in verschiedenen Bundesländern den Arbeitgeberwechsel zwischen verschiedenen deutschen Universitäten auf unzulässige Weise erschweren würde. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass diese Sorge unbegründet ist. Der Wechsel von einem Bundesland mit einer strengeren Befristungsregel in eines mit einer liberaleren ist ohnehin kein Problem. Aber auch der Wechsel von einem Bundesland mit einer liberalen Befristungsregel in eines, in dem es z.B. eine Befristungshöchstquote oder die Forderung einer früheren Anschlusszusage gibt, ist weiterhin problemlos möglich, solange dort die betreffende Befristungshöchstquote noch nicht ausgeschöpft ist oder die neue befristete Stelle mit einer Anschlusszusage versehen wird. Natürlich werden manche die genannten regulatorischen Instrumente generell ablehnen und es deswegen auch nicht gutheißen, wenn einzelne Bundesländer sich für sie entscheiden. Aber zusätzliche Gründe gegen diese Maßnahmen, die auf mangelnde Flexibilität im Wechsel zwischen den Bundesländern abheben, gibt das „Flickenteppich-Argument“ nicht her.
Ich würde mich deswegen freuen, wenn die Abgeordneten des deutschen Bundestages eine Fassung des WissZeitVG verabschieden würden, die eines Länderöffnungsklausel enthält. Sie würden so dazu beitragen, dass der Reformprozess zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland auf Länderebene fortgesetzt wird und die dafür nötige Rechtssicherheit herstellen. Das wäre zwar sicher weniger, als sich viele von der Reform des WissZeitVG versprochen haben. Aber es wäre immerhin mehr als deren vollständiges Scheitern im Hinblick auf die Phase nach der Promotion.