(von Tilman Reitz, Christina Hölzel, Daniel Leising, Ruth Mayer und Katharina Meinecke)
An den deutschen Universitäten herrscht wieder einmal Endspielstimmung. Im Rahmen der Exzellenzstrategie wird bald über die Förderung einzelner “Cluster” entschieden, und besonders erfolgreiche Standorte können sich kommendes Jahr um den Status der “Exzellenzuniversität” bewerben. Gleichzeitig kehrt angesichts leerer Hochschulkassen, maroder Gebäude und unzureichender Personalbudgets die Diskussion über Sinn oder Unsinn der Exzellenzstrategie insgesamt wieder. Thorsten Wilhelmy hatte in dieser Zeitung gefordert, sie nach der aktuellen Runde einmal auszusetzen, um die Infrastrukturen zu konsolidieren. Auch andere Stellungnahmen – etwa von Annette Schavan, Georg Schütte und Peter-André Alt – bezeichneten den Exzellenzwettbewerb als “überhitzt” und beurteilten die projektbasierte Hochschulfinanzierung insgesamt als “fragil”. Zur Korrektur wurden höhere Nebenkostenpauschalen (Wilhelmy), stärkere inhaltliche Vorgaben (Schütte) oder eine Streichung der Förderlinie Exzellenzuniversitäten (Alt) diskutiert. Die Vorsitzenden der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Wissenschaftsrats, Katja Becker und Wolfgang Wick, scheinen die Debatte nun beenden zu wollen, indem sie den Eindruck der “Atemlosigkeit und Überhitzung” schlicht zurückweisen. Die Exzellenzstrategie, so ihr Argument, schaffe “Planungs- und Finanzierungssicherheit”, da Exzellenzcluster für bis zu vierzehn Jahre und Exzellenzuniversitäten bei stetig erfolgreicher Wiederbewerbung dauerhaft gefördert werden können. Becker und Wick fordern sogar mehr vom Gleichen, nämlich eine “europäische Exzellenzstrategie, die von unseren Erfahrungen profitieren” würde. Die von Wilhelmy und anderen aufgeworfene Grundfrage bleibt damit unbeantwortet: Sollte ein Hochschulsystem, dessen Betriebsfähigkeit durch akute Finanzengpässe gefährdet ist, jährlich weit über eine halbe Milliarde Euro in einem Wettbewerb verfeuern, in dem es zentral um “Sichtbarkeit”, also um Prestige, geht?
Diese Frage wurde nicht immer so dringlich gestellt. Frühere Kritiken richteten sich vor allem gegen die vorgesehene Stratifizierung des Systems in privilegierte Exzellenz-Leuchttürme, Normaluniversitäten ohne Spitzenforschung und eine dritte Hochschulliga von nur noch regionaler Bedeutung. Für ein solches Szenario sind die vergebenen Summen aber vielleicht doch zu klein und zu breit gestreut. Aktuell steht noch nicht einmal fest, dass Universitäten mit Exzellenzclustern oder -status finanziell wirklich abgesichert sind. Engpässe im Grundbedarf können hier wie andernorts neben der Vorzeigeforschung fortbestehen – was inzwischen vermehrt Befremden auslöst. Man kann an Potemkinsche Dörfer denken, die für die Gutachtenden und die Geldgebenden errichtet und bei positivem Förderbescheid für einige Jahre luxuriös ausgebaut werden, während abseits der Begehungsroute die Labore und Seminarräume immer weiter verfallen.
Die Exzellenzstrategie ist damit ein Prüfungsfall für das Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft, in dem wir uns von professoraler Seite für verlässliche Beschäftigung, solide Finanzierung, Transparenz und sinnvolle Beurteilungsstandards im deutschen Hochschulsystem einsetzen. Da die Kritik an der Exzellenzstrategie bei unseren Mitgliedern verschieden stark ausgeprägt ist und niemand alle ihre Effekte überblickt, haben wir zunächst fragend interveniert. Wir haben der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK), die das Programm verantwortet, sowie der DFG und dem Wissenschaftsrat als durchführenden Organen im September eine Reihe kritischer Fragen zur Exzellenzstrategie gestellt, die teils Grundprobleme, teils Verbesserungschancen betreffen. Erbeten wurden etwa Einschätzungen zu den Kosten und Motiven der Antragstellenden, Auskünfte zur Gestaltung des Vergabeverfahrens und zur Rolle dauerhafter Lehraufgaben und Personalplanungen. Möglicherweise reagiert der Beitrag von Frau Becker und Herrn Wick indirekt auch auf diesen Anstoß. Jedenfalls haben uns die Institutionen Antwortschreiben geschickt, die wir zusammen mit unseren Fragen auf unserer Webseite veröffentlicht haben. Leider erlauben aber auch diese Antworten nur begrenzt Blicke hinter die Exzellenzfassade. Sie zeigen uns vielmehr, dass ein genaueres Hinsehen vielleicht gar nicht erwünscht ist.
Dies gilt besonders für die Reaktion der GWK. Statt erkennbar auf unsere Fragen einzugehen, hat sie uns nach fünf Wochen eine allgemeine Stellungnahme zugehen lassen, die sich wie rasch aus den Webseiten des Exzellenzprogramms zusammenkopiert liest: “Die Exzellenzstrategie stellt ein starkes Bekenntnis von Bund und Ländern zur universitären Spitzenforschung in Deutschland dar. Sie trägt dazu bei, durch die Ausbildung von Leistungsspitzen den Wissenschaftsstandort nachhaltig zu stärken und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern. Die Exzellenzstrategie hat eine hohe Dynamik an den Universitäten ausgelöst … ” Auch auf den folgenden knapp zwei Seiten werden uns vorrangig Formeln dieser Art und einige bekannte Zahlen mitgeteilt.
Uns ist bewusst, dass zur Zeit unseres Schreibens viel anlag. Die inzwischen zurückgetretene Wissenschaftsministerin und GWK-Vorsitzende Bettina Stark-Watzinger war nicht nur mit Kritik an ihrer Amtsführung beschäftigt, sie hätte auch das wissenschaftliche Befristungsrecht reformieren und eine Bund-Länder-Initiative für mehr akademische Dauerstellen auf den Weg bringen müssen. Dennoch hatten wir gehofft, dass gerade die GWK uns substanziell antworten würde, da DFG und Wissenschaftsrat nicht für Grundsatzentscheidungen zuständig sind.
Diese beiden Organisationen sind in einem gemeinsamen Schreiben ernsthaft und ausführlich auf unsere Fragen eingegangen. Sie lassen allerdings ebenso wenig Problembewusstsein erkennen wie nun ihre Vorsitzenden. So wurde unsere Frage, welche Rolle Faktoren wie der Länderproporz bei der Mittelvergabe spielen, mit dem Hinweis beantwortet, dass die Wissenschaft im zentralen Entscheidungsgremium eine Mehrheit hat. Frau Becker und Herrn Wick fügen in ihrem Beitrag hinzu, dass auch auf europäischer Ebene “allein streng wissenschaftsgeleitete Kriterien und Verfahren” entscheiden dürften. Unerwähnt bleibt, dass in der letzten Vergaberunde die Zahl der Exzellenzcluster spontan von 47 auf 57 erhöht wurde, worauf drei zuvor zu kurz gekommene Länder (alle mit CDU-Regierungsbeteiligung) plötzlich viel besser dastanden. Auch die Einschätzung dazu, ob bestimmte Forschungsfragen der Cluster je verfolgt worden wären, wenn nicht Exzellenzmittel in Aussicht gestanden hätten, zeugt von großem Verfahrensvertrauen: Nach Ansicht der DFG und des Wissenschaftsrats würden primär durch die Förderaussicht motivierte Vorhaben „von den international anerkannten Expert*innen, die die Begutachtung übernehmen, schnell als solche erkannt werden.“ Becker und Wick äußern sich ähnlich zuversichtlich, wenngleich mit systemüblicher Unbestimmtheit: “Am Ende steht […] eine Auswahl besonders zukunftsträchtiger Projekte, die dem kritischen Blick der internationalen scientific community standhalten und das Potenzial haben, die wissenschaftlichen Grundlagen der nächsten großen Durchbrüche zu erarbeiten.” Da alles dies bloß behauptet wird, kann keine der Aussagen unseren Verdacht ausräumen. Es lohnt auch zu bemerken, was sie alles nicht berücksichtigen: Prestige-, Macht- und Ausstattungsinteressen, den nach Auskunft Beteiligter “extremen Druck” von Kollegen und Hochschulleitungen, sich am Exzellenzwettbewerb zu beteiligen, oder auch nur das Bedürfnis, mit einem geschickt gestellten Antrag drohenden Sparzwängen und einer daraus resultierenden Handlungsunfähigkeit zu entgehen.
An unseren guten Glauben appellieren auch zahlreiche weitere Auskünfte, zu denen Zahlen und Beispiele fehlen. Wir haben erfreut gelesen, dass im Rahmen der Exzellenzstrategie Innovationen in der Lehre angestoßen, Departmentstrukturen befördert und sogar Dauerstellen jenseits der Professur geschaffen wurden. Wir hätten nur gerne auch gewusst, wo, in welchem Umfang und in welcher Weise dies alles umgesetzt wurde. Auch zu den Kosten, die im Rahmen von Exzellenzbewerbungen für Beratung, Probebegehungen, vorbereitende Förderung oder die schlichte Bindung von Arbeitskraft entstehen, wollten wir nicht bloß lesen, dass “die Antragstellung und deren Vorbereitung ein hohes persönliches Engagement und enormen zeitlichen Einsatz” verlangen und die “Beteiligten sehr enthusiastisch und engagiert sind”. Würde verantwortliches Wirtschaften mit erheblichen Summen öffentlichen Geldes nicht erfordern, dass den erwarteten, bisher erbrachten und in jedem Fall irgendwie nachgewiesenen Erträgen eine einigermaßen realistische Gesamtkostenrechnung gegenübergestellt wird? Für die vielen Fälle schließlich, in denen der enorme Aufwand vergeblich war, haben Becker und Wick nur den Trost übrig, dass allein “durch die Vorbereitung der Anträge […] produktive Ideen ins Rollen” kämen. Wohin sie – ohne die dafür beantragten Mittel – rollen sollen, bleibt indes ungewiss.
Um die aufgeworfenen Fragen ernsthaft zu klären, wäre eine unabhängige, professionelle Evaluierung der Exzellenzstrategie nötig, die mithin weder von DFG und Wissenschaftsrat selbst organisiert noch einer Handvoll international ausgewiesener Chef-Wissenschaftler überlassen werden darf. Es bräuchte belastbare Zahlen und frei zugängliche Daten, gut recherchierte Beispiele für vorbildliche und missbräuchliche Antrags-, Vergabe- und Verwendungspraxis und eine vielstimmige Diskussion der Ergebnisse. All dies müsste zeitig vor der Einläutung der nächsten Wettbewerbsrunde vorliegen. Erst recht wäre eine substanzielle Evaluierung natürlich erforderlich, bevor man das deutsche Modell für eine gesamteuropäische Neuauflage empfiehlt. Die erst für 2035 angekündigte Evaluation kommt zu spät.
Schon der jetzige Wissensstand legt zwei politische Schlussfolgerungen nahe. Die Förderung der vermuteten Leuchttürme bleibt zynisch, wenn ansonsten regelmäßig die Lichter ausgehen. Will man nachhaltig fördern, braucht es ein Hilfsprogramm von mindestens gleichem Umfang für die vielen Universitäten, die durch Sanierungsstau, steigende Betriebskosten und Tarifsteigerungen in Finanznot geraten sind. Das betrifft auch Kandidaten für den Exzellenzstatus. Zudem muss der Förderbetrieb insgesamt dringend reformiert werden. Auch erfolgreiche Anträge garantieren keine gelungene Forschung, fressen aber jede Menge Zeit und Energie. Die Wissenschaft gewinnt nicht, wenn man Universitäten wie Sportclubs gegeneinander in Turniere schickt, und der Zwang zum Schaulauf lädt bei mangelnder Transparenz und Kontrolle zu Täuschungsverhalten ein. Statt teurer, künstlicher Wettbewerbe, deren qualitätssteigernde Effekte stets nur behauptet werden, braucht es Grundförderung in der Breite. Dann kann es statt um Forschungsfinanzierung endlich wieder um Forschungsergebnisse gehen. Andernfalls drohen unsere Universitäten wirklich den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren.
(Eine redaktionell bearbeitete, v.a. etwas gekürzte Version dieses Beitrags erschien in der FAZ, Nr. 271, Mittwoch, 20.11.2024, S. N4).