(Gemeinsam mit Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft e.V., 19.12.2024)
Der nordrhein-westfälische Landtag befasst sich derzeit mit einem Vorhaben zur Reform des Hochschulrechts, dem sogenannten „Hochschulstärkungsgesetz“. Der Referentenentwurf enthält neben anderen Elementen wichtige Neuerungen zu „Redlichkeit“ und „Sicherheit“ des Hochschulbetriebs bzw. zum Umgang mit Fehlverhalten und Machtmissbrauch. Um diese soll es hier vorrangig gehen. NRW ist das erste deutsche Bundesland, in dem die Politik die erheblichen Reform- und Regelungsbedarfe in diesem Bereich konsequent angeht. Wenn das Vorhaben gelingt, erhoffen wir uns entsprechende Nachahmungseffekte im Rest der Bundesrepublik. Jetzt sind Mut und Sorgfalt gefragt, damit NRW zum Vorbild werden kann.
Die vorgesehenen Maßnahmen gehen aus unserer Sicht klar in die richtige Richtung. Das Instrumentarium der Hochschulen im Umgang mit Fehlverhalten und Machtmissbrauch einiger ihrer Mitglieder muss dringend erweitert werden. Zu oft nahmen die Verantwortlichen in den Institutionen ihre Verantwortung im Umgang mit diesem Verhalten bisher nicht ausreichend wahr oder wurden durch die geltende Gesetzgebung in der Umsetzung angemessener Maßnahmen gehindert.
Zugleich möchten wir aber darauf hinweisen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichend sein werden. Dementsprechend irritieren uns Wortmeldungen mancher, die in der geplanten Reform bereits ein „Zuviel“ an Bewegung erkennen wollen und am liebsten alles so lassen würden, wie es ist. Wir können uns dies nur durch eine weitgehende Ahnungslosigkeit über die realen Zustände erklären. Was an den Hochschulen wirklich stattfindet und für viele Early Career Researcher, Studierende und Mitarbeiter*innen in Technik und Verwaltung Alltag ist, kommt in deren Leitungen und in Teilen der Professorenschaft offensichtlich noch immer nur in äußerst verdünnter Form an. Die Hochschulen selbst könnten und sollten daher einen wichtigen Beitrag zu mehr Transparenz leisten, indem sie regelmäßig und proaktiv Daten zum Thema erheben und veröffentlichen.
Im Folgenden fassen wir unsere Kernargumente und daraus resultierende Empfehlungen entlang der neuen oder überarbeiteten Paragraphen zusammen. Wir bitten das Ministerium, unsere Empfehlungen im weiteren Gesetzgebungsprozess zu berücksichtigen und stehen für einen vertieften inhaltlichen Austausch gern zur Verfügung.
§ 67 Promotion (2)
Wir befürworten eine stärkere gesetzliche Verankerung von Betreuungsvereinbarungen, um gegenseitige Verpflichtungen in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit transparenter zu machen und die Qualität der Qualifizierungsverfahren zu sichern. Besonders wichtig ist die gegenseitige Verpflichtung zur Beachtung der Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis, denn diese werden gerade gegenüber Promovierenden oft nicht eingehalten. So werden Promovierende nicht selten dazu genötigt, ihre Betreuer*innen als Mitautor*innen aufzuführen, obwohl diese selbst keinen substanziellen Beitrag zu der betreffenden Publikation geleistet haben. Die Erfordernisse guter wissenschaftlicher Praxis sollten konkretisiert werden, weil sie in allen Statusgruppen vielfach nur unzureichend bekannt sind. Die Kommission Anreizsystem, Machtmissbrauch und Wissenschaftliches Fehlverhalten (AMWF) der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hat eine Muster-Betreuungsvereinbarung erarbeitet.
§ 67 Promotion (3)
Wir befürworten ausdrücklich die geplante Trennung zwischen Betreuung und Bewertung. Dies wird helfen, das Potenzial für Machtmissbrauch einzuschränken und ist in anderen Ländern zudem seit langem gelebte Praxis. Dabei sollte es aber nicht bleiben. Es ist ein deutsches Spezifikum, dass die Personen, mit denen Early Career Researchers vorrangig wissenschaftlich zusammenarbeiten, zugleich deren Vorgesetzte mit alleiniger Personalverantwortung sind. Auch hierdurch ergibt sich ein sehr erhebliches Potenzial für Machtmissbrauch, welches durch die Regelungen des WissZeitVG noch einmal verschärft wird. Dieses Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft ermöglicht es, sich Mitarbeiter*innen in Qualifikationsphasen zu entledigen, ohne dass dies (notwendigerweise) einer Kündigung bedarf.
Eine relative Entmachtung der Professorenschaft, etwa durch die Schaffung von Departmentstrukturen ohne “Ausstattung” einzelner Professuren mit Mitarbeitsstellen, ist daher geboten. Auch dies ist in anderen Ländern seit langem gelebte Praxis. Eine weitere Maßnahme, die demselben Ziel dient, wäre die regelhafte Etablierung von Thesis Advisory Committees, wie sie seit einigen Jahren in der Max-Planck-Gesellschaft erprobt werden.
§ 84 Sicherer und redlicher Hochschulraum
Wir halten es für essenziell, dass der Handlungsspielraum von Hochschulen im Umgang mit Fehlverhalten ausgeweitet wird. In dieser Hinsicht geht der Referentenentwurf große Schritte in die richtige Richtung. Zugleich sehen wir bei den vorgeschlagenen Maßnahmen und ihrer Begründung aber noch Verbesserungsbedarf.
Die Diagnose, dass es sich bei Machtmissbrauch um ein individuelles Fehlverhalten handelt und nicht um ein besonderes strukturelles Problem von Hochschulen, teilen wir in dieser Absolutheit nicht. Selbstverständlich spielen bei den meisten Formen unethischen Verhaltens individuelle Handlungsbereitschaften eine Rolle. Man muss jedoch immer auch fragen, wie sehr das jeweilige Umfeld solches Verhalten zulässt, herausfordert und vielleicht sogar belohnt. Die Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems stellen insbesondere aufgrund der bereits erwähnten steilen Hierarchien eine Einladung zum Machtmissbrauch dar.
Entsprechend greifen Maßnahmen, die allein auf die Sanktionierung von Individuen zielen, eindeutig zu kurz. Jede solche Verschärfung des Strafenkatalogs wird am Ende wirkungslos bleiben, wenn die Professor*innen ihre Machtfülle behalten und die Bürde der Beschwerde weiterhin vollständig auf den Schultern der Schwächeren im System lastet: der Early Career Researchers, Studierenden, studentischen Beschäftigten und Mitarbeiter*innen in Technik und Verwaltung. Solange es für diese Personen aufgrund des bestehenden Machtgefälles weiter hoch riskant ist, wenn sie auf Fehlverhalten aufmerksam machen, wird in ihrem Umgang damit auch weiterhin das Schweigen vorherrschen. Und dieses Schweigen wird dann wieder als Beleg dafür fehlinterpretiert werden, dass es keine Probleme gibt.
Außerdem möchten wir auf eine Verengung der Problematik hinweisen, die uns immer wieder begegnet: Machtmissbrauch und Diskriminierungen erschöpfen sich nicht in sexualisierter Gewalt oder geschlechtlicher Diskriminierung. Natürlich gibt es an unseren Hochschulen oft gravierende sexualisierte Übergriffe, Nötigungen und Diskriminierungen und die meisten dieser Fälle bleiben bislang im Verborgenen. Aber darüber dürfen andere Formen der Diskriminierung wie Rassismus, Ableismus und Klassismus nicht aus dem Blick geraten. Die besondere Vulnerabilität dieser Betroffenen und deren bisher fehlende Thematisierung verschärfen die relative Unsichtbarkeit dieser Formen des Machtmissbrauchs. Und Machtmissbrauch liegt auch dann vor, wenn Mitarbeitende ausgebeutet, ihrer Leistungen beraubt, bedroht oder gedemütigt werden. Die Formen sind vielgestaltiger als es oft anerkannt wird – und zu ihrem Auftreten tragen die unnötig steilen Hierarchien fast immer bei.
§ 85 Sicherheit in der Hochschule; Ansprechpersonen
Wir begrüßen es, dass für die Sicherheit an Hochschulen Ansprechpersonen benannt werden sollen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie diese Ansprechpersonen mit ihrer institutionellen Eingebundenheit umgehen. Die vielen Beratungsfälle des Netzwerks gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft e.V. (MaWi) lehren ebenso wie die Ergebnisse systematischer Befragungen, dass interne Anlaufstellen vielfach nicht ausreichen, um Betroffene angemessen zu begleiten. Das Vertrauen der Ratsuchenden in die Wirksamkeit, Diskretion und Unparteilichkeit der internen Kanäle ist zu Recht begrenzt.
Das Beschwerdewesen muss daher von einzelnen akademischen Institutionen unabhängig gemacht werden. Unterbleibt dies, wird der typische Verlauf solcher Prozeduren auch weiterhin zum Nachteil der Betroffenen und Vorteil der Täter*innen sein. Sowohl MaWi als auch die Kommission AMWF der DGPs haben Empfehlungen zur Ausgestaltung solcher Anlaufstellen gemacht. Über die Notwendigkeit einer Entkopplung von einzelnen Institutionen bestand dabei ebenso Einigkeit wie über den Bedarf nach einer Professionalisierung. Anlaufstellen müssen mit hauptamtlich beschäftigten Personen auf unbefristeten Stellen besetzt sein, die über Beratungskompetenzen bzw. juristische Expertise ebenso wie über Kenntnisse in Konfliktbewältigung und seelischer Gesundheit / Krankheit verfügen. Menschen, die den schwierigen Weg einer Beschwerdeführung auf sich nehmen, muss selbstverständlich professionelle psychologische Unterstützung angeboten werden.
Sehr kritisch sehen wir dementsprechend die Vorstellung, dass jede Hochschule ein eigenes „Konzept“ zur Ausgestaltung von Beschwerdestellen zu entwickeln habe, da dieser Ansatz die jeweiligen Ergebnisse zu stark vom mehr oder minder entwickelten Problembewusstsein und Reformwillen an den einzelnen Standorten abhängig machen wird. Leidtragende wären einmal mehr die (potenziellen) Beschwerdeführenden.
Einschätzung zu sonstigen Neuerungen
zu § 38 Berufungsverfahren (4)
Wir begrüßen auch, dass die Berufungsordnung vorsehen kann, von Bewerber*innen eine Erklärung zur Einhaltung der guten wissenschaftlichen Praxis zu verlangen. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass gemäß dem DFG-Kodex auch Machtmissbrauch eine Verletzung der guten wissenschaftlichen Praxis darstellen kann und deshalb ebenso in die Formulierung aufgenommen werden sollte. Darüber hinaus sollte grundsätzlich dokumentiert werden, welche Publikationen bei einer Berufungsentscheidung berücksichtigt wurden.
zu § 38 Berufungsverfahren (6)
Es ist wichtig, die pädagogische Eignung der Bewerber*innen zu berücksichtigen. Die pädagogische Eignung wird in Berufungsverfahren u.a. anhand von Lehrevaluationen festgestellt. Deren Aussagekraft ist jedoch durch diverse Biases begrenzt. Dies kann in der Folge dazu führen, dass Bewerber*innen weniger pädagogisch geeignet erscheinen, als sie es de facto sind. Es besteht ein Bedarf an valideren Formen der Erfassung von Lehrkompetenz. Wir plädieren zudem dafür, hier auch praktische Führungserfahrungen als weiteres Kriterium aufzunehmen bzw. Regelungen zu treffen, diese in einem angemessenen Zeitraum nach Dienstantritt zu erwerben und kontinuierlich weiter auszubilden.